Interview aus der Gründerszene

Warum ein Startup zu gründen nicht immer einfach ist 


Marcel Koukissa ist Co-Founder und Geschäftsführer der Plattform Kokett.net, welche deutschlandweit Afro-Hairstylist*innen und Beautyexpert*innen an Kund*innen vermittelt.  
Wir haben mit ihm über sein Startup, und dessen Gründung gesprochen, welche Schwierigkeiten er im Speziellen hatte, aber auch welche Schwierigkeiten grundsätzlich auf Gründende zukommen können. 
 

Seit circa 10 Jahren lebt Marcel Koukissa, der ursprünglich im Kongo geboren wurde, in Deutschland und steckt neben seinem Job als Fullstack Developer derzeit mitten im Aufbau seiner Startup-Plattform Kokett.net. Die Idee für die Plattform entstand zufällig als eine Freundin aus Paris sich hier in Deutschland die Haare machen lassen wollte und für Box Braids völlig überteuerte Preise zahlen musste. Der Versuch, günstigere oder überhaupt Alternativen zu finden, scheiterte. In Frankreich gibt es bereits gut funktionierende Konzepte, die Marcel Koukissa zu seinem Startup inspirierten.   

2018 wird deshalb die Plattform Kokett.net gegründet, die Afro-Hairstylist*innen und Afro-Beautyexpert*innen deutschlandweit an Kund*innen vermittelt. Dadurch wird es Menschen mit (afrikanischem) Migrationshintergrund, Afro-Deutschen, aber auch Afro-Hairstyle-Liebhaber*innen erleichtert, Stylist*innen und Hair Salons mit den entsprechenden Kompetenzen zu finden.  

Gerade Menschen mit einer eher glatten Haarstruktur haben häufig keine Vorstellung davon, dass Afro-Haare durch ihre Haarstruktur sowohl spezielle Pflegeprodukte benötigen als auch spezielles Fachwissen beim Schneiden und Stylen. Entsprechende Salons sind häufig Mangelware und/oder schwer zu finden. Auch die Haarprodukte finden sich nur selten in einer Drogerie. In der Ausbildung lernen Friseur*innen in Deutschland nicht, wie diese besondere Art von Haaren gehandhabt werden muss. Meist haben Friseur*innen ihr Basiswissen um diesen Bereich, durch Bekannte oder Familienmitglieder erweitert oder sie besitzen selbst einen Migrationshintergrund und können deshalb auch Dienstleistungen für Menschen mit Afro-Haaren anbieten. Um in Deutschland einen eigenen Haarsalon zu eröffnen, muss man außerdem einen Meisterbrief besitzen. Doch viele, die Leistungen im Afro-Haar-Bereich anbieten möchten, haben keine derartige Aus- oder Weiterbildung. Damit ist es meist nur möglich, die Leistung in einem schon vorhandenen Salon anzubieten oder es durch eine Nebenbeschäftigung oder auf selbstständiger Basis als mobiler Service zu versuchen. Gerade für diese Hairstylist*innen liefert Kokett.net einen Mehrwert: Sie können sich auf der Plattform kostenlos registrieren und dabei zum einen angeben, wo sie arbeiten, welche Kompetenzen sie haben (zum Beispiel, Rasta, Crochet Braids oder Box Braids) und natürlich auch, welche Preise sie verlangen. Sie arbeiten weiterhin selbstständig und können durch die Plattform neue Kund*innen gewinnen.

Startseite der Plattform www.kokett.net

Die Plattform bietet für registrierte Hairstylist*innen außerdem soziale Leistungen an. Zum Beispiel kann bei Angelegenheiten des Finanzamtes oder der Steuer, aber auch des Jobcenters Hilfestellung gegeben werden. Es wird aber auch darauf geachtet, dass die Hairstylist*innen alle Auflagen erfüllen, um legal zu arbeiten und Kokett.net kümmert sich bei Bedarf darum, für die Stylist*innen ein Gewerbe anzumelden. Zusätzlich möchte sich das Team um Marcel Koukissa sozial engagieren, indem sie Flüchtlinge und Arbeitslose mit Kompetenzen im Afro-Hair-Bereich weiterbilden und in diesem Berufsfeld integrieren. Auf Grund der andauernden Pandemie Situation verschiebt sich die Realisierung dieses sozialen Projektes jedoch vermutlich auf das Jahr 2022.   

Die Idee klingt vielversprechend und gerade Menschen mit Afro-Haaren sehen ihren Bedarf. Dabei darf nicht unterschätzt werden, dass dies auch viele Deutsche betrifft, deren Verwandte vor einigen Generation eingewandert sind. Insbesondere junge Leute sind außerdem offen gegenüber Herkünften und Kulturen und lassen sich auch bei Mode und Style gerne davon inspirieren. Die Prominenz macht es vor. So hat beispielsweise auch Kim Kardashian schon Box Braids getragen. Natürlich beliefert kokett.net damit nur eine Nische des deutschen Marktes, doch offensichtlich wird der Bedarf dieser Nische von Investor*innen aktuell unterschätzt. Denn für kokett.net liegt derzeit die größte Schwierigkeit darin, eine*n Investor*in zu finden. Bisher finanziert das Gründerteam alles aus eigener Tasche, wodurch die finanziellen Mittel eher begrenzt sind und vieles durch private Kredite finanziert werden muss. So zum Beispiel auch die Entwicklung und das Design einer App, die gerade in den letzten Zügen steckt, so dass hoffentlich schon Mitte Juni eine fertige App präsentiert werden kann. Viele Investor*innen verhalten sich noch sehr zurückhaltend und warten zunächst die Veröffentlichung der App ab. Doch die Hoffnung von Marcel Koukissa, seiner Co-Founderin und des Teams um die beiden, liegt weiterhin darin, die Gespräche im Anschluss an die Veröffentlichung weiterzuführen und doch noch eine*n Investor*in vom Geschäftspotential der Idee überzeugen zu können. Dann würde mehr Budget für Marketing und Vertrieb, aber auch die operative Arbeit, wie zum Beispiel Kundenbetreuung oder Zahlungsüberwachung, zur Verfügung stehen und die Plattform könnte noch einmal einen Sprung nach vorne machen. Die Zurückhaltung der Investor*innen erklärt sich Marcel Koukissa zum einen damit, dass sich viele in diesem Bereich nicht auskennen und dem Konzept deshalb skeptisch gegenüberstehen und zum anderen damit, dass es hierfür noch keinen Vorreiter auf dem deutschen Markt gibt. Insbesondere Investor*innen in Deutschland ziehen sichere Anlagemöglichkeiten und Ideen vor - bestenfalls also ein Startup, dass es in ähnlicher Form schon auf dem Markt gibt. 

Verglichen mit anderen Gründenden, wird Gründenden mit Migrationshintergrund, ebenso wie weiblichen Gründerinnen, zudem weniger Vertrauen entgegengebracht.[1,2] Doch ohne Gründende mit Migrationshintergrund wären die Zahlen für Patente und Innovationen in Deutschland schon längst auf dem absteigenden Ast![3]
Die Haltung deutscher Investor*innen, die Gründende mit internationalem Background, trotz gut ausgearbeiteter Konzepte mit Marktstudien sowie ausreichend Daten und Informationen, nicht ernst zu nehmen, kann deshalb nur schwer nachvollzogen werden.  

Doch natürlich hat das Gründerteam von Kokett.net auch schon positive Erfahrungen gemacht und durch einen Startup-Inkubator aus Frankfurt sowie weitere Geschäftsleute und Business Angel ihr Business Modell über die Zeit immer weiter anpassen können, bis hin zu der Plattform, die sie gerade ist. Von einigen Ratschlägen und Tipps profitieren Marcel und sein Team dabei heute noch.   

Für Deutschland sieht Marcel Koukissa trotzdem noch Verbesserungspotential. Seiner Meinung nach braucht es vor allem auch außerhalb Berlins mehr Startup Hubs, die Startups aus den verschiedensten Branchen zusammenbringen und Coachings und Finanzierungshilfen bieten. Der Tech Bereich ist an dieser Stelle schon etwas besser aufgestellt, doch gerade auch andere Branchen könnten von ganzheitlichen Hubs profitieren, die von der Ideenfindung bis zur Finanzierung Unterstützung anbieten.  

Gründen ist nicht einfach. Auch mit einer sehr guten Idee, an die man glaubt, kann man scheitern. Zum Beispiel weil man kaum Unterstützung erhält.

Anderen oder potentiellen Gründenden mit einer Idee rät Marcel Koukissa einfach dranzubleiben und immer damit zu rechnen, dass es auch zu Problemen, wie einer fehlenden Finanzierung, kommen kann. Man sollte bereit sein, auch ohne Unterstützung weiterzumachen und weiter nach Investor*innen zu suchen. Sich dabei die Erfolgsstories anderer Startups vor Augen zu führen kann einem selbst helfen. Aber Achtung: In anderen Ländern ist es häufig viel einfach mit einem Startup durchzustarten als in Deutschland!  


Quellen: 

(1) https://femalefoundersmonitor.de/wp-content/uploads/FemaleFoundersMonitor_2020.pdf [18.05.2021]

(2) https://www.heise.de/news/Gruender-mit-Migrationsgeschichte-krempeln-die-Start-up-Szene-um-6033910.html [18.05.2021]

(3) https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/erfindungen-biotntech-patente-1.5249438 [18.05.2021]


Interview und Artikel von: 
Verena Berns, Managerin Marketing & Communications

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